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Interieur

 

Über die Größe eines Raumes lässt sich schlecht streiten, über dessen Interieur schon leichter.

Von seinem Wesen her lässt sich ein Regal als Raum im Raum-Objekt einer Aufzählung begreifen, gedanklich kann man es in die Unendlichkeit fortsetzen. Seine Zählung beginnt nicht bei Null, sondern mit Eins. Missbräuchlich verwendet - raumnehmend statt raumgebend, ohne konkrete Aneinanderreihung - wird ein jedes Regal zum Objekt. Oder zum Sockel.

Alles Übrige ist Interieur.

Alfred Kaufmann

In der Ausstellung ist der direkte Blick auf die weißen Betonskulpturen nicht möglich. Er wird durch ein Metallobjekt, das paradoxerweise auch als Sockel dient, verstellt. Man muss sich bücken, verbiegen, kurz, sich bewegen, um einen Blick auf die Quetsches zu erhaschen. Dieses Verstellen und Erhaschen eines Blickes gefällt mir.

Rouven Dürr

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Private Punk V

Rouven Dürr´s Werke – sowohl seine Skulpturen als auch seine großformatigen schwarzen Zeichnungen auf weißem Grund – bestechen vor allem durch ihre beeindruckende Klarheit. Deutlich dabei die zentrale Rolle seiner Auseinandersetzung mit bildhauerischen Themen, der Linie an sich und davon aufgeworfenen Fragen. Das organische Wechselspiel zwischen Raum und Form findet in seiner Arbeit ganz selbstverständlich statt, allerdings hinterfragt er die dabei übliche Lesart, irritiert, indem er materielle Bedingungen und Annahmen umzukehren scheint. Gemeinsam zeugen diese Werke von der vielseitigen Annäherung des Künstlers an uns umgebende Phänomene von Raum, Zeit, vom Begreifen aber vor allem auch vom Sich-Gegenseitig-Bedingen derselben.

 

Seine Plastiken aus Beton oder Stein erinnern zunächst an große, dreidimensionale zeichnerische Chiffren, schwer und massiv wirken sie zugleich seltsam leicht, glatt. Häufig sind sie - wie beiläufig - gekrümmt, röhrenähnlich verbogen, zusammengeklappt oder fragmentarisch abgeschnitten. Trügerisch, so als käme hier kein schweres Material zum Einsatz, als gäbe es keinen aufwändigen Formprozess. Ganz im Gegensatz zu seinen durch Farbauftrag und Machart extrem intensiv anmutenden Zeichnungen, die das Papier fast zu sprengen und durchdringen scheinen, derart dynamisch körperhaft präsentieren sich ihre verschlungenen, dicht aufgetragenen, dunklen Liniengebilde. Dabei geht es nicht – vordergründig – um Reduktion, vielmehr scheint der Künstler alltäglich anmutende Formen zwar von Ballast zu befreien, dabei aber vor allem ihr Wesentliches, wichtige innere / äußere Teile freizulegen, zu markieren, formal zu präzisieren, speziell ihren Bezug zum Umgebungsraum neu zu gestalten, dabei organisch aus ihrem Körper herausarbeitend, stets zwischen Abstraktion und Figuration pendelnd.

Vermeintlich Vertrautes mischt sich mit abrupt Unerwartetem, die Formen bleiben knapp, präzise und ruhen kompakt in sich. Gleichzeitig hinterfragt gerade diese fragmentarische Genauigkeit viel, zudem mögliche skulpturale Anschlusselemente zu fehlen scheinen, bei näherer Betrachtung rasch unnötig sind: die puristischen, ebenso sinnlichen Werke sind sich selbst genug, komplex geht es immer um das Grundvokabular: die Linie, den Körper, das Innen, das Außen.

Beeindruckend bei den sowohl zwei- als auch dreidimensionalen Arbeiten ihr letztlich unprätentiöses Ruhen in sich – ihre wohltuende kraftvolle Klarheit, die der Künstler in beiden Medien schlüssig, wenn auch mit gänzlich anderen Mitteln, erreicht.

Alexandra Grubeck

Die Haut – Rouven Dürr

 

In Rouvens Studio stehen, soweit ich es gesehen habe, vier bis fünf Skulpturen auf Tischen und einige gerahmte Arbeiten lehnen an den Wänden. Die Skulpturen stehen in einem sehr speziellen Verhältnis zu den Papierarbeiten. Sie tauschen sozusagen ihren Charakter.

Ich habe, nach einiger Zeit des Schauens, die Figuren in den Arbeiten auf Papier als dreidimensionale Formen wahrgenommen und, umgekehrt, die Skulpturen als flache zweidimensionale Strukturen. Ich denke, ein wunderschöner Aspekt vom Raum ist, dass er die Dinge in Bewegung hält. Rouven hat mit seinen Skulpturen und Zeichnungen den Raum aufgespannt bzw. aktiviert, sodass zwischen den beiden Werkgruppen eine Durchlässigkeit entsteht, aus der heraus sich die Arbeiten aus ihrer medienimmanenten Sackgasse befreien können. Rouven infiziert die Skulptur, in der der dreidimensionale Aspekt evident ist, mit einer Zweidimensionalität, einer Flachheit, die erst den eigentlichen Raum, den Mondrian "Plastizität" nannte, schafft.

Ich glaube, dass die Zeichnung und die Plastik in Rouvens Werk sich brauchen, ja sich bedingen. Diese Verkettung ist ein Aspekt, der oft bei Bildhauern auftritt, siehe Henri Laurens, Giacometti, Bruce Naumann. Bei der großen Tuschearbeit, die einem Oktogon ähnlich schaut, wirkt die Form, als ob man einer Skulptur von Rouven die Haut abgezogen und sie auf ein Gerüst gehängt hätte. Also wieder der Weg zurück, vom Zweidimensionalen zum Dreidimensionalen. Ein Kreislauf, der ein ganzes Bildhauerleben füllt und der nicht aufhört.

Michael Horsky

Der gute Geruch – die neuen Arbeiten von Rouven Dürr

 

wuzeln – rollen – drehen – formen – überlegen – umformen – ausprobieren –  brennen

 

modellieren – gießen – modellieren – gießen – schleifen

Weiße Betonskulpturen, anmutig geformt, verschlungen, auf Sockeln drapiert, auf den Tisch gelegt, an der Wand befestigt. Locken zu greifen, begreifen, begleiten. Assoziationen beginnen zu fließen; haptische Erinnerungen werden wach, an Zeiten, wo Druck, Stress, Geldverdienen, Politik und Sterblichkeit im besten Fall noch keine Rolle spielten.

Das macht einen Teil der Anziehung dieser Objekte aus, weitere Ebenen von Assoziationen sind individuell erfassbar, aber auch ohne Kunsthintergrund lassen einen diese Objekte, einmal in echt gesehen, nicht los: Scheinbar unauffällig, wie nebenbei geformt, unprätentiös, sind sie für die Betrachtenden einfach da. Der Künstler verbindet damit noch den Entstehungsprozess, den guten – modrigen – Geruch der Negativformen, die Freude des Erkennens nach langer Arbeit, die Freude des Entstehens und des Weitergebens. Rouven Dürrs Arbeiten sind einzigartig in sich selbst.

Fiona Rukschcio

Ödipussi

Nach den geometrischen Volumen, Formen, Kanten, Fluchten, Brüchen der letzten Jahre macht Rouven Dürr mit seiner jüngsten Skulptur "Ohne Titel" einen Schritt in Richtung des Organischen, zurück zum Körper, bei dem er ansetzte, allerdings abstrakt, ohne ihn zu verbildlichen. Hier geht es nicht mehr um die Figur, um den Akt. Es geht um das Fleisch, um die Falte im Fleisch der Welt. Den Ursprung der Form. Courbet, als Ahnung. Ein in sich verschlungener Körper. Es bleibt das Begehren, das bewegt.

Sarah Kolb

um die linie

es geht um die linie

es dreht sich um die linie

auch um die linie im anecken

im tanzen und tasten um die linie

um die linie im raum – um den raum

auch um die linie der eigenen arbeiten

in der zeit und durch die zeit um die linie

in der linie um die linie um die linie darum

und warum durch und durch um die linie

wege finden um die linie sehen und um

im verfolgen um die linie entwenden 

zu können um die linie verwenden

um die linie wenden zu können

kein weg führt um die linie

aber in und um die linie

herum fällt die linie

Sarah Kolb

Auf Besuch in Rouven Dürrs Exotarium

Aus der Ferne betrachtet scheinen sich in Rouven Dürrs großformatigen Papierarbeiten die Spuren einer Modellautobahn in endlosen spitzen und stumpfen Kurven über das Blatt zu ziehen. Breite, schwarze Schleifen schlängeln sich auf der Oberfläche wie riesige Reptilien, die ihrem Terrarium längst entwachsen sind und der Enge ihres Gefängnisses nicht entkommen können. Während sich die Kurven knapp innerhalb des Papierformates bewegen, tanzen die Tuschestriche aus der Reihe und über die Ränder hinaus. Die Zeichnungen, die im Licht hell reflektieren, zeugen von einem manischen Herstellungsprozess, in dem tausende kleine Striche äußerst dicht neben- und übereinander gesetzt worden sind.

 

Eckige und runde Skulpturen liegen auf umgedrehten Holzkisten und werden wie Obst am Markt zur Schau gestellt. Die farblich unscheinbaren, unbemalten Artefakte aus Gips und Beton evozieren Bilder von vermeintlich Bekannten: Mehrere Spitzen und Kanten erinnern an einen Stern, das Stück eines Rohres erweckt umgehend das Bild eines Ofenteiles, auf einer Kiste liegt eine Art Zunge. Bevor sie sich jedoch dechiffrieren lassen, entziehen sich die Skulpturen den Assoziationen und entpuppen sich als utopische Gebilde. Ein kurzer Moment der Enttäuschung, dass es sich nicht um den erwarteten Gegenstand handelt, wird umgehend von Neugier an der noch nicht bekannten Form abgelöst.

 

Die Gegensätze, die Rouven Dürr in seinem Schaffen vereint, wirken ebenso verstörend wie anziehend. Mit physischem Einsatz geht er über bekannte Formensprache hinaus und erschafft eine eigene Nomenklatur – ein Destillat aus zwanzig Jahren künstlerischer Arbeit. Obwohl seine Arbeiten durch ihre eigenwillige Ästhetik in sich ruhen, bleibt sein Werk wild und widerständig.

Annette Tesarek

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